Willkommen, Litauen!

Mit einer deutlichen Mehrheit von 89,9 % hat Litauen am vergangenen Wochenende über seinen EU-Beitritt positiv abgestimmt. Das Ergebnis übertrifft deutlich alle Meinungsumfragen der jüngsten und fernen Vergangenheit, die von 65 % Zustimmung ausgegangen waren. Auch die für die rechtlich verbindliche Wirkung des Referendums notwendige Beteiligung wurde deutlich übertroffen.

Litauen stellte am 8. Dezember 1995 seinen EU-Beitrittsantrag. Die Verhandlungen wurden 1998 aufgenommen und im Dezember 2002 beim EU-Gipfel in Kopenhagen abgeschlossen. Das Europäische Parlament hat die Beitrittsverträge bereits am 9. April 2003 ratifiziert, die am 16. April 2003 beim EU-Gipfel in Athen feierlich unterzeichnet wurden. Nach Ratifizierung durch die nationalen Parlamente der derzeitigen Mitgliedsstaaten wird Litauen am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beitreten.

Litauen spielte beim Zerfall der Sowjetunion eine wesentliche Rolle. Schon Ende der 1980er Jahre entstanden oppositionelle Gruppen, sogenannte Volksfronten, die Massendemonstrationen organisierten und durch ihre Wahlsiege auch im Parlament eine entscheidende Rolle spielten. Das litauische Parlament erklärte am 11. März 1990 seine Unabhängigkeit, an der auch die Besetzung durch sowjetische Truppen nichts mehr ändern konnte.

In Litauen liegt übrigens die geografische Mitte Europas, nahe des Dorfes Bernotai, 25 km nördlich der Hauptstadt Vilnius. Ein Stein in einem Park mit zeitgenössischen Skulpturen markiert das Zentrum Europas: 54 Grad 54 Minuten nördliche Breite und 25 Grad 19 Minuten östliche Länge, wie französische Wissenschaftler sehr zum Stolz der Litauer berechnet haben.

Zur Geschichte Litauens

Man vermutet, dass baltische Stämme schon um 4000 v. Chr. den Ostseeraum bevölkerten. In der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends wanderten die Slawen ein und vermischten sich mit der indogenen Bevölkerung. Um diese Zeit begannen sich verschiedene Völker und Sprachen herauszubilden: die Prussen, Jotwinger, Letten und Litauer. Litauen wird in historischen Quellen 1009 zum ersten Mal genannt. Der endgültige Eintritt in die Geschichte erfolgte 1253, als sich der Großfürst Mindaugas, zuvor zum katholischen Glauben konvertiert, zum litauischen König krönen ließ. Nach seinem Tod fiel das Land wieder ins Heidentum zurück. Erst 1387 erfolgte mit dem litauischen Großfürsten Jogaila, der zuvor in Personalunion zum polnischen König gewählt wurde, die endgültige Christianisierung. Der polnisch-litauische Doppelstaat war ein Machtfaktor in Mittel-und Osteuropa, er reichte von der Ostsee bis ans Schwarze Meer. Die Niederlage des deutschen Ordens bei Tannenberg 1410 war Ausdruck seiner Stärke und beendete die Expansionsbestrebungen des Ordensstaates an der Ostsee.

Das Erstarken des Großfürstentums Moskau im 15. und 16. Jhdt. führte zum noch stärkeren Zusammenwachsen von Litauen und Polen in der Union von Lublin 1569 mit einem gemeinsamen Adelsparlament. Wenn litauische Historiker auch auf das eigene Heer, die selbständige Gesetzgebung und die eigenen Gerichte hinweisen, kam es dennoch zu einer starken Polonisierung mit einem ausgeprägten Katholizismus, der sich auch in der Gründung der Universität Vilnius 1579 durch die Jesuiten manifestierte.

Der litauisch-polnische Staat war eine Adelsrepublik mit einem schwachen König an der Spitze. Litauen-Polen wurde im 17. Jdht. zum Schauplatz der schwedisch- russischen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft an der Ostsee, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckten. Von ständigen Kriegen gebeutelt und von großer innerer Zerrissenheit geplagt verschwand Polen-Litauen in drei Teilungen Ende des 18. Jdhts. von der europäischen Landkarte. Die Gebiete des heutigen Litauen fielen 1795 an das russische Zarenreich. Die soziale Lage verschlechterte sich, mehrere Aufstände waren die Folge. Nach Repressionen gegen die adeligen Aufständischen waren vor allem Bauern die Träger der nationalen Wiedergeburt des litauischen Volkes.

Starke Russifizierungstendenzen in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. bestärkten das Streben nach Unabhängkeit, die nach der Niederlage des Zarenreiches im Ersten Weltkrieg in der Unabhängigkeitserklärung vom 16. Februar 1918 verwirklicht wurde. Der neue Staat war jedoch sehr schwach und musste den Verlust seiner Hauptstadt Vilnius an Polen hinnehmen. Auch die Demokratie stand nicht auf starken Beinen. Nach einem Militärputsch kam 1926 ein autoritäres Regime an die Macht. Schlimmeres sollte folgen: Entsprechend dem Geheimprotokoll des Hitler-Stalin Paktes besetzten die Russen 1940 Litauen, gaben ihm seine Haupstadt zurück und gliederten es am 3. August 1940 in die Sowjetunion ein. Repressionen vor allem gegen die litauischen Eliten waren die Folge. Ein litauischer Aufstand gegen die Sowjets fiel mit der Besatzung durch deutsche Truppen zusammen. In den drei Jahren deutscher Besatzung wurden 220.000 litauische Juden ermordet. 1944 kam die Rote Armee zurück und mit ihr Zwangskollektivierung und neuerliche Deportationen. Litauischer bewaffneter Widerstand hielt sich bis in die 1950er Jahre.

Nach Stalins Tod setzte eine partielle Liberalisierung ein. Es bildete sich eine einheimische Nomenklatura, und Litauen erlebte in den 1960er und 70er Jahren einen wenn auch bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung. Widerstand gegen das Sowjetregime regte sich auf neuen Ebenen, zum einen über die katholische Kirche, zum anderen über eine Dissidentengruppe, die als Reaktion auf die Schlussakte von Helsinki zu den Menschenrechten entstand.

Als Michail Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika die Sowjetunion retten wollte, wuchs in Litauen eine Pflanze, die er so wohl lieber nicht gesät hatte. Mit der Volksfront Sąjūdis entstand eine Reformbewegung. Mit ihren estnischen und lettischen Schwesterorganisationen organisierte Sąjūdis am 23. August 1989, dem 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes eine Menschenkette von Tallinn nach Vilnius, an der über 2 Millionen Menschen teilnahmen.

Am 11. März 1990 erklärte das erste frei gewählte litauische Parlament seine Unabhängigkeit. Sowjetische Militäraktionen 1991 konnten das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen und der Augustputsch in Moskau mit dem Zerfall der Sowjetunion bedeutete für Litauen die endgültige Unabhängigkeit.

Weitere Informationen:

Offizielle Webseite der Republik Litauen

Länderprofil

Margareta Stubenrauch, 12. Mai 2003, aktualisiert am 26. August 2010