Globalisierung: Wahrheiten und Missverständnisse

Am 28. Oktober 2002 hielt der Präsident der Polnischen Nationalbank, Leszek Balcerowicz, am Institut für die Wissenschaften vom Menschen einen Vortrag zum Thema "Wahrheiten und Missverständnisse über die Globalisierung". Als Finanzminister zwischen 1989 und 1991, sowie von 1997 bis 2001 gilt Balcerowicz als Architekt der polnischen Wirtschaftsreformen während des Übergangs von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft. Der österreichische Unternehmer Hannes Androsch und Markus Marterbauer vom Wirtschaftsforschungsinstitut kommentierten Balcerowicz' Vortrag, worauf eine Publikumsdiskussion stattfand.

Balcerowicz definierte Globalisierung als einen Prozess, der sich durch ein starkes internationales Handelsaufkommen, durch transnationalen Kapitalverkehr, durch Migration und durch einen verbesserten Zugang zu Informationen auszeichnet. Globalisierung ist keine Entwicklung des ausgehenden 20. Jhdts. Er stellte fest, das wir uns gegenwärtig in der dritten Phase der Globalisierung befinden. Die erste datierte er von 1870 bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs, die zweite von den 1950er bis zu den 1980er Jahren, und die dritte startete nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Neu in der dritten Phase ist die aktive Teilnahme bisher unbeteiligter Player, wie China und Indien, sowie die Entstehung der vorwiegend medial vermittelten Massenkultur. Balcerowicz bestritt heftig, dass Globalisierung zu Armut führe. 95% der Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, leben in Afrika. Afrika nimmt an der Globalisierung nicht teil. Schuld daran sind diktatorische Regime und der Protektionismus der entwickelten Welt gegenüber Afrika und der afrikanischen Staaten untereinander.

Hannes Androsch ging mit Balcerowicz in allen Punkten konform und kritisierte zudem heftig die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union als den personifizierten Protektionismus. Balcerowicz stimmte dieser Kritik als "Ökonom" zu, als "Repräsentant des politischen Systems Polens" verschwieg er sich dazu.

Markus Marterbauer stellte die These auf, dass die zweite Phase der Globalisierung (1950-1980) erfolgreicher gewesen sei als die gegenwärtige, weil mehr Menschen an den Globalisierungsgewinnen beteiligt waren. Er identifizierte die internationalen Finanzmärkte als Ursache vieler Wirtschaftskrisen und forderte ihre Regulierung durch eine internationale Kontrolleinrichtung. Während Androsch in dieser Frage eine Mittelposition ("so wenig Regulierung wie möglich") einnahm, war Balcerowicz deutlicher. Schuld an diversen Wirtschaftskrisen von Russland bis Argentinien seien nicht die Finanzmärkte, sondern verfehlte hausgemachte Politiken, wie die Steuerpolitik in Russland.

Er warnte davor, bei Imperfektionen des Marktes sofort an Regulierung als Allheilmittel zu denken, sprach sich aber nicht grundsätzlich gegen Regulierung von Fall zu Fall aus. Auch auf Publikumsfragen zur Gefahr der steigenden internationalen Abhängigkeit und der Ängste der Globalisierungsverlierer war Balcerowicz klar. Internationale Abhängigkeit sei kein Nachteil per se, sondern verstärke den Handel und damit den Wohlstand. Außerdem gäbe es immer Verlierer, aber Protektionismus und Isolationismus ließe ihre Anzahl steigen.....

Margareta Stubenrauch, 1.11.2002