Europäische Notwendigkeiten

Vor ziemlich genau einem Jahr hielt der Privatmann Joschka Fischer eine vielbeachtete Rede an der Humboldt-Universität in Berlin über die Vollendung der europäischen Integration, in der er "den Übergang vom Staatenbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer Europäischen Föderation" gefordert hat.

Leider hat der Außenminister Joschka Fischer diese seine Vorstellungen nicht in die laufende Regierungskonferenz eingebracht, sodass deren Abschluss in Nizza zu einem tragikomischen Schauspiel kleinlicher nationalstaatlicher Interessenspolitik verkam, in dem die armselige europapolitische Vision der österreichischen Bundesregierung in der Erhaltung eines Kommissars pro Mitgliedsstaat und der Verteidigung der heimischen Wasserressourcen gegen imaginäre Angreifer bestand.

Vor wenigen Tagen hat der deutsche Bundeskanzler Schröder neues Salz in die europäische Debatte gestreut, zwar nicht wie vielfach kolportiert in einem gut geplanten Auftritt, sondern eher durch einen Zufall, bei dem ein internes SPD-Dokument an die Öffentlichkeit gelangte. Dabei geht es um den Ausbau der Europäischen Kommission zu einer Europäischen Regierung und um die Budgethoheit für das Europäische Parlament. Schröders Vorstoß hat heftige Ablehnung ausgelöst, nicht zuletzt in Österreich.

Was ist eigentlich so schrecklich daran, wenn auf europäischer Ebene endlich nachvollzogen wird, was es in denn einzelnen Mitgliedsstaaten schon längst gibt, nämlich eine saubere Gewaltentrennung in Legislative (Europäisches Parlament), Exekutive (Europäische Kommission) und Judikatur (Europäischer Gerichtshof). Die Antwort liegt auf der Hand - Es gibt keinen Platz mehr für den Rat, jene allermächtigste der europäischen Institutionen, in der die Vertreter/innen der nationalen Regierungen in Intransparenz und Heimlichkeit jene Entscheidungen fällen, die sie ihren Bürgern/innen daheim dann als das unvermeidliche Brüsseler Diktat präsentieren.

Nun ist Herr Schröder gar nicht so weit gegangen, die Abschaffung des Rates zu fordern und jede/r noch so große Europa-Visionär/in weiß, dass dies mittelfristig nicht möglich ist. Der deutsche Bundeskanzler hat lediglich die Richtung angedeutet, in die sich die Union entwickeln muss, wenn sie nach der Erweiterung an die dreißig Mitglieder haben wird und gleichzeitig politisch handlungsfähig bleiben will.

Dabei hat er einige Aspekte vergessen, die für eine echte demokratische Weiterentwicklung der Europäischen Union unabdingbar sind. Dazu gehören eine europäische Verfassung, ein einheitliches Europäisches Wahlrecht und das Initiativrecht für das Europäische Parlament, denn es ist schlichtweg ein unhaltbarer Zustand, dass ein Parlament von sich aus keine Gesetzesvorschläge machen kann, sondern dabei auf den Rat und die Kommission angewiesen ist.

Welche/r europäische Politiker/in wird sich in absehbarer Zukunft mit diesen oder ähnlichen Vorschlägen an die Öffentlichkeit wagen, und damit einen wirklichen Beitrag zur Debatte über die Zukunft Europas leisten - eine Debatte, die in Österreich bedauerlicherweise nicht geführt wird.

Margareta Stubenrauch, 9. Mai 2001