Eine Stadt an der Ostsee

Als das ehemalige deutsche Ostpreußen nach dem 2. Weltkrieg zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt wurde, fiel das Gebiet um die Hauptstadt Kaliningrad mit einer Fläche von 15.100 Quadratkilometern an Letztere. Von der alten Kant-Stadt Königsberg war nicht viel übrig geblieben. Die Sowjets bauten die Stadt zum Militärzentrum aus und sperrten die gesamte Region für Besucher - auch aus den eigenen Reihen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb die Region Kaliningrad mit etwa einer Million Einwohnern, davon fast die Hälfte in der Hauptstadt selbst, als russische Enklave an der Ostsee, mit Polen und dem wieder unabhängigen Litauen als Nachbarn, aber ohne direkte Verbindung nach Russland zurück. Ein trauriger wirtschaftlicher Niedergang war die Folge. Heute liegt das BIP in der Region um 35 % unter dem russischen Durchschnitt und 30 % der Bevölkerung leben nach Schätzungen an oder unter der Armutsgrenze. Kriminalität und Schattenwirtschaft stellen große Probleme dar.

Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommen politische: Wenn Polen und Litauen wie geplant 2004 der Europäischen Union beitreten, werden sie eine EU-Außengrenze zu schützen haben, mit der Konsequenz, dass für den Personenverkehr zwischen Russland und Kaliningrad - also innerhalb eines Staates - ein Visum erforderlich sein wird.

Das ist für Russland inakzeptabel. Die EU steht nun vor einem Dilemma: jegliche Erleichterungen für Reisende zwischen Kaliningrad und dem "Mutterland" sind mit ihren derzeitigen Rechtsvorschriften (Acquis) wohl kaum vereinbar, auf dessen strenger Anwendung die Nachbarn Litauen und Polen beharren. Genau das verlangt die Union in den laufenden Beitrittsverhandlungen mit allen Kandidatenländern zu all ihren Politikbereichen. Litauen und Polen lehnen derzeit Korridor-Lösungen oder spezielle Non-Stop-Züge (was macht man mit dem Autoverkehr?) ohne Visum ab. Litauen, das als Transitland besonders betroffen ist, will dieses Thema aus seinen eigenen Beitrittsverhandlungen gänzlich heraushalten und möchte, dass diese Fragen erst nach seinem Beitritt in einer erweiterten Union behandelt werden.

Derzeit verlangt Litauen Visa für die Reise von und nach Kaliningrad. Die Europäische Kommission schlägt nun die Ausstellung sogenannter "erleichterter" Transit-Dokumente bis Ende 2004 vor. Danach sollen Personen nur mehr mit internationalen Pässen von Kaliningrad nach Russland und umgekehrt reisen dürfen. Die von Russland vorgeschlagene Option eines Visa-freien Reiseverkehrs in weiterer Folge hält die Kommission für überprüfenswert.

Die Zeit drängt: Eine Lösung muss beim EU-Gipfel mit Russland am 11. November 2002 in Kopenhagen gefunden werden.

Weitere Informationen:

Kaliningrad

Margareta Stubenrauch, 29.9.2002