Das polnische Jahr

Seit April läuft in Österreich das "Polnische Jahr", das vom Polnischen Institut Wien und dem Adam Mickiewicz-Institut Warschau organisiert wird. Ziel ist es, Polen vor allem im kulturellen Bereich bekannter zu machen. Polen ist leider für die meisten Österreicher völlig unbekannt und hierzulande sogar mit dummen und abstrusen Clichés ("Komm’ nach Polen, dein gestohlenes Auto ist schon dort") behaftet. Aber die Wahrheit ist:

- Polen ist mit fast 40 Millionen Einwohnern das weitaus größte Beitrittskandidatenland (und somit größer als zusammen alle anderen Länder, die 2004 in die EU aufgenommen werden sollen).


- Polen war das erste europäische Land mit einer demokratischen Verfassung (3. Mai 1791)

 

– dieser Tag wird, nachdem er während der kommunistischen Zeit verboten war, in Polen noch immer groß gefeiert)


- Polen war im 17. Jahrhundert das größte Land Europas und reichte von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und war ein Hort geistiger und religiöser Toleranz


- Die Polen haben Jahrhunderte lang um ihre Unabhängigkeit und Freiheit gekämpft (nachdem sie im 18. Jahrhundert unter Österreich, Russen und Preußen aufgeteilt wurden und im 20. Jahrhundert unter Nazi- und sowjetischer Besatzung leiden mussten)

 

- In den 80er und 90er Jahren haben die Polen mit den berühmten Streiks in Danzig und dem Runden Tisch das Ende des Kommunismus und somit auch das Ende der Ost-Westteilung Europas eingeläutet


- Polen hat vier Literaturnobelpreisträger (wovon zwei, Czeslaw Milosz und Wislawa Szymborska, noch leben) – Österreich hatte noch nie einen (Elias Canetti, der in Bulgarien geboren wurde, war zum Zeitpunkt der Verleihung des Nobelpreises britischer Staatsbürger).


Und trotzdem glauben noch immer viele Österreicher, Polen sei rückständig.....

Polen hat natürlich – wie jedes Transformationsland – Probleme bei der wirtschaftlichen Umstellung: Hohe Arbeitslosigkeit (derzeit fast 18%), eine große Diskrepanz zwischen Systemgewinnern und Systemverlierern (der reichste Pole hat angeblich ein Vermögen von ca. 3 Milliarden Zloty/750 Mio. EURO, 100.000 Polen verfügen über ein Vermögen von mehr als 1 Million Zloty/250.000 EURO; das Durchschnittsgehalt beträgt demgegenüber ca. 2000 Zloty/500 EURO), ein ungenügend finanziertes Gesundheits- und Pensionssystem, ein schlechtes Straßennetz, Korruption. Populistische und erzkatholische Parteien haben regen Zulauf.

Aber trotzdem sieht man auch positive Seiten: Städte wie Warschau, Krakau, Wroclaw (das frühere Breslau), Poznan (Posen) blühen auf; Hochhäuser und Hypermarkets - die großen Errungenschaften westlicher Zivilisation – sprießen wie Schwammerl aus dem Boden; die meisten jungen Leute sind gegenüber der Zukunft aufgeschlossen.

Für viele Polen ist die EU das "gelobte Land". Das polnische EU-Referendum 2003 sollte daher problemlos über die Bühne gehen. (Dass gerade Länder wie Österreich und Deutschland, die am meisten vom Beitritt Polens zur EU und den damit verbundenen Markchancen profitieren werden, eine 7-jährige Übergangsfrist für den freien Personenverkehr gefordert und bekommen haben, hat die EU-Euphorie in Polen aber nicht unbedingt positiv beeinflusst.)

Österreichische Firmen (vor allem im Banken- und Baubereich) haben den polnischen Markt schon entdeckt. Österreichische Touristen müssen den Weg noch dorthin finden – denn nur ein gegenseitiges Kennenlernen kann Vorurteile und Stereotypen überwinden.

Und die österreichische Politik? Die "Regionale Partnerschaft", die die Außenministerin letztes Jahr ins Leben gerufen hat um die Zusammenarbeit Österreichs mit seinen mittelosteuropäischen Nachbarn zu intensivieren, umfasst auch Polen. Ob sich Polen aber in der Kategorie kleiner EU-Staaten wohlfühlt, ist nicht sicher. Warschau hat derzeit seine Augen mehr auf Berlin, London, Paris, Moskau und vor allem Washington gerichtet. Wien kommt dabei nicht wirklich vor.

Österreich müsste eine aktive und ehrliche EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik führen. Dann wäre es auch für Polen ein wichtiger Partner.

Gerhard Eisl, 28. 8. 2002

Der Artikel spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider.